BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ratsfraktion Oberhausen

Rede anlässlich der Haushaltsverabschiedung 2025 in der Sitzung des Rates der Stadt Oberhausen am 16. Dezember 2024

16.12.24 –

- Es gilt das gesprochene Wort. -

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Anwesende,

mit einer alles anderen als freudigen Feststellung muss ich beginnen:

Was stabil ist, sind die Unsicherheiten. Die 2020er Jahre erscheinen bereits - kurz bevor sie die Hälfte der Dekade erreicht haben - als eine Zeitspanne der Unsicherheiten, der Krisen, der Kriege. Und vor Ort: Ein Blick auf den diesjährigen Haushalt und Blicke in die Zukunft können nur Betroffenheit auslösen.  Gestaltungs- und Handlungsspielräume erscheinen wie eine Fata Morgana.

Und jedes Jahr aufs Neue: Wo bleibt die Altschuldenlösung?

Augenwischerei bringt an dieser Stelle nichts. Der Zustand muss klar benannt werden und darf nicht zur Vogel-Strauß-Politik führen. Wir haben uns bereits an anderer Stelle damit auseinandergesetzt, dass die Einschnitte im sozialen Bereich Oberhausen tief treffen. Die Landesregierung hat nun auf den letzten Metern ihr Möglichstes getan und kann die Einschnitte reduzieren, sodass beispielsweise der Gewaltschutz von Frauen keine Mittelkürzung erfährt.

Wir leben in einer Stadt, in der Prävention der Schlüssel zur Lösung von vielen sozialen Problemen ist. Darauf müssen wir verstärkt unser Augenmerk richten. An dieser Stelle fordere ich für meine Fraktion noch einmal ein, dass Konzepte zur Drogensucht und Obdachlosigkeit erstellt werden, die schnellstmöglich in die Umsetzung kommen müssen. Denn: Wer sehenden Auges durch die Zentren unserer Stadt geht, beobachtet, dass sich die Situation nahezu wöchentlich verschärft. Auch wenn Oberhausen eine Großstadt ist, ist sie einfach zu klein strukturiert, um das Elend so Vieler im öffentlichen Raum billigen zu müssen. Dabei geht uns um den Schutz und die Unterstützung der Betroffenen und es geht uns um jene, die damit konfrontiert werden, was weitere Unsicherheit und im schlimmsten Fall zu einem Treten nach unten führt. Ein Sich-Nicht-Abfinden-, ein Verbessern-Wollen, was den Zustand unserer Stadt angeht, äußerte sich Ihrerseits mit dem Erstellen von Masterplänen.

Ja, das ist ein Weg - und ein sehr langer dazu - und Sie wissen, es ist nicht der Weg, den wir Grünen blindlings mit einschlugen. Das hat Gründe, Gründe, die Ihnen mitgeteilt wurden, aber auch weitergehende beziehungsweise tieferliegende.

Wir stehen kurz vor der Bundestagswahl, die Kommunalwahl ist auch nicht fern. Was das für die einzelnen Gruppen und Fraktionen bedeutet, soll nicht Gegenstand meiner nächsten Ausführungen sein. Lassen Sie uns stattdessen einen Ausflug in die Begriffe des Konservativen und des Progressiven unternehmen.

Die Weltanschauung des Konservatismus, ebenso wie von Sozialismus und Liberalismus reicht seit langem nicht mehr aus, um sich in der Gegenwart zu orientieren, so der Politikwissenschaftler und Historiker Jens Hacke. Trotzdem bleiben diese Ideologien als politische Semantik Bestandteil unserer politischen Alltagsverständigung. Die Gegenüberstellung von progressiv und konservativ diente lange Zeit dazu, politische Fronten zu klären. Doch taugt dieser Vergleich nicht mehr allzu viel, wenn es darum geht, zwischen links und rechts zu unterscheiden: vom grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann über das Bündnis Sarah Wagenknecht bis zur AfD - alle wollen konservativ sein.

Wohin führte und führt dies? Nicht in Gänze – glücklicherweise – dennoch zu einem um sich greifenden Populismus, angefeuert durch

  1. Krisensituationen, denn wirtschaftliche oder soziale Krisen können konservative Positionen radikalisieren, wenn sie durch populistische Narrative verstärkt werden.
  2. Fragmentierung des politischen Systems: Wenn traditionelle konservative Parteien an Glaubwürdigkeit verlieren, gewinnen populistische Akteur:innen das konservative Wähler:innenspektrum.
  3. Mediale und politische Polarisierung: Populistische Akteur:innen nutzen konservative Themen wie Migration oder kulturellen Wandel, um emotional aufgeladene Debatten zu führen.

Wir alle haben vom CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz noch sein „Pascha“-Statement oder Folgendes im Ohr:

„(…) die werden doch wahnsinnig, die Leute. Wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine."

Und er erklärte: „Die 20-jährigen Studienabbrecher in der grünen Bundestagsfraktion, die uns von morgens bis abends die Welt erklären“, seien die „Hauptfeinde“ seiner Partei.

Der CDU-Landeschef von Thüringen, Mario Voigt, sprach im Zusammenhang mit Robert Habecks Heizungsgesetz von einer „Energie-Stasi"; der bayerische Ministerpräsident Markus Söder nannte Bundesumweltministerin Steffi Lemke „diese grüne Margot Honecker" und lässt Sätze wie „Die Grünen gehören nicht zu Bayern“ vom Stapel. Man beachte das Anstoßen von Assoziation zum Ausspruch „Der Islam gehört zu Deutschland“.

Er und sein Berliner Kollege Merz schüren das Narrativ, dass Grüne die Menschen zu allem möglichen zwingen wollen, wie Insekten zu essen, zu gendern, Lastenfahrrad zu fahren und sich immer schön woke zu präsentieren.

Dass das nicht zur gesalzenen politischen Frontenbildung gehört, sondern Folgen hat, scheinen Söder, Merz und Co. kaum zu stören. Anscheinend glauben sie, dass sie mit einer scharfen Abgrenzung zu den Grünen oder vielmehr dem Stilisieren eines Grünen-Feindbildes mehr Wähler:innenstimmen abziehen, als mit einer eindeutigen inhaltlichen Abgrenzung zur AfD. Die Statistiken der Wähler:innenwanderungen bestätigen das indes nicht, die Union holt keine Stimmen von rechts zurück. Und wir dürfen nicht vergessen: Die Mutter des Grünenhasses ist die AfD. Programmatisch spiegeln sie das negativ wider: Klimawandel leugnen, Regenbogenfahnen verbieten, Windkraft erschweren, Photovoltaikanlagen auf Äckern verbieten, Gendern verbieten, Sexualkunde verbieten, Kohle verbrennen, Atomkraftwerke bauen, Verbrenner auf ewig zu lassen.

Wie können sich etablierte demokratische Parteien, wie die Union, nur auf solch ein Niveau herablassen und sich vor den Risiken verschließen?

CSU-Generalsekretär Huber nannte einen Grund in einer Talk-Show im Zweiten Deutschen Fernsehen: „Die Grünen seien der ideologische Kopf der Ampel.“

Das ist - na ja war - doch wunderbar, denn wir sind die einzigen, die konsequent am Klimaschutz festhalten und zudem versuchen, diesen in Politik und Tat zu wandeln. Wenn das Ideologie meint – gerne! Wir haben keine Scheu, als Ideolog:innen bezeichnet zu werden, schließlich setzt sich dieser Begriff aus „Idee“ und „Wissenschaft“ beziehungsweise „Lehre“ zusammen. Im Politlexikon heißt es dazu: „Ideologien sind wesentlicher Teil politischer Orientierung; sie sind sowohl Notwendigkeit als auch Begrenzung politischen Handelns.“

Diese Verwendung scheint auch in diesem Raum vergessen.

Wir können es uns aber nicht leisten, medial Feindbilder zu pflegen, nur zum Zweck einer kläglichen Maximierung von Wähler:innenstimmen. Unser Appell an Sie bleibt daher bestehen. Ich zitiere aus meiner Rede zum Haushalt 2024:

„Wir sollten und müssen uns aber davor hüten, die rechtsextremen Narrative sichtbar, hörbar, sogar salonfähig zu machen. Wir sollten und müssen uns stattdessen darauf konzentrieren, was uns Demokratinnen und Demokraten ausmacht: Die kritische und auch sachliche Auseinandersetzung, im Ringen um einen tragbaren Konsens, der transparent und nachvollziehbar für alle kommuniziert werden muss.“

Deshalb: Der sich entfaltenden Subversion, auch in diesem Saal, darf weder ängstlich noch überaus wütend begegnet werden. Die wehrhafte Demokratie muss weiterhin zum Schutz unserer offenen Gesellschaft gelebt werden. Nicht zuletzt die Bürgerinnen und Bürger müssen sich dieser bedienen. Vor einigen Monaten erst zeigten sie das auf vielen Straßen in der gesamten Bundesrepublik. Und nicht zuletzt zeigt sich das gegenwärtig im Neumitgliederboom, den wir Grüne erfahren.

Wenn ich mich mit Neumitgliedern unterhalte, höre ich oft, dass sie genau dafür deutlicher einstehen wollen, sich dem Schutz unseres demokratischen Systems und der offenen Gesellschaft verpflichtet fühlen. Das macht mich stolz und zuversichtlich in einer Gegenwart, die kommunales Ehrenamt an vielen Stellen mehr als unattraktiv erscheinen lässt. Lassen Sie uns daher die Zeit der geringen Gestaltungsräume durch knappe finanzielle Mittel nutzen, dafür zu kämpfen, anstatt zu verzagen.

Wir Grüne werden dennoch nicht müde, eine Feigenblattpolitik in Sachen Nachhaltigkeit weiterhin zu benennen. Gestapelter motorisierter Individualverkehr, Sickerpflaster und begrünte Kreisverkehre sind ganz hübsch, aber definitiv nicht progressiv. Wir müssen weiterdenken als bis zum nächsten Morgen. Quartiersparkhäuser wären aktuell eine gute Sache, um den öffentlichen Raum zu entlasten und zu entsiegeln. Vernünftig und unerlässlich ist es aber weiterzudenken. Für uns ist das die Unabhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr. Wir haben Füße, wir können aufs Rad oder in den Bus steigen und uns Autos mit Elektromotor teilen. Das sollte uns keine Angst machen, sondern wir sollten dafür sorgen, dass das möglich wird, anstatt den Status quo ein klein wenig nachhaltiger zu gestalten, getreu dem Motto: „Hauptsache der Verkehr fließt“.

Am Althergebrachten festzuhalten, ein klein wenig daran herumzuschrauben, suggeriert, dass damals – was ist eigentlich damit gemeint – alles besser war. Aber das Agieren in der Vergangenheit führte doch erst dazu, wo wir heute stehen. Und wo stehen wir: Am Ende des heißesten Jahres seit Beginn der Aufzeichnung. Feigenblattpolitik mit einem Hauch grünen Anstrich begegnen den Tatsachen dieser Welt definitiv nicht-progressiv, sie hält unmutig am Althergebrachten fest, kommt einer fahrlässigen Augenwischerei gleich. Was für den Verkehr gilt, kann für den ressourcenintensiven und klimaschädigenden Neubau ebenfalls festgestellt werden. Wir werden deshalb weiter darauf hinweisen, dass der Traum vom Eigenheim, der hier politisch vertreten wird, sich an etwas klammert, was unsere Kinder und Kindeskinder kein Stück voranbringen wird. Die Wohnsoziologin Prof. Christine Hannemann sagt dazu:

„Das Einfamilienhaus ist des Deutschen liebste Wohnform. (…) Das Eigenheim wurde lange durch die Politik als Altersvorsorge thematisiert. Hinzu kommt diese idyllische Vorstellung vom Leben in der Kleinfamilie. Aus der Forschungsperspektive ist das Eigenheim eine asoziale und unökologische Wohnform. Ich will niemanden das Eigenheim ausreden. Es geht einfach um die Konditionen. Wenn Sie zum Beispiel an die Infrastruktur denken, zum Beispiel was der Unterhalt einer Bushaltestelle in der Eigenheimsiedlung kostet im Verhältnis zu einer Bushaltestelle in einem Wohngebiet mit vielen Etagenwohnungen. Menschen, die ein Eigenheim besitzen, bezahlen nicht die wirklichen Kosten ihrer Wohnform, sondern das wird von der Allgemeinheit getragen. Deshalb spreche ich von der Asozialität, dafür können die Eigenheimbesitzer*innen aber nichts.“

Oberhausen ist weder Berlin noch München. Dennoch sollten wir nicht darauf warten, dass auch hier der Wohnraum knapp und die Mieten hoch werden. Wir alle wissen: Die Bestandsbauten sind das Problem. Und in diesem Zusammenhang ist es von Nachrang, dass diese noch nicht als Schrottimmobilien bezeichnet werden. Wir haben gerade erst um die Ohren gehauen bekommen – Stichwort neue Schule – wie sich die Baukosten entwickeln. Neben dem Versiegelungsaspekt sollten wir uns nicht auf Neubauten konzentrieren, sondern verhindern, dass Verarmung durch Wohnen entsteht. Eine weitere Stellschraube ist der gut organisierte Wohnungstausch, da ältere Menschen meist über mehr Wohnraum verfügen als jüngere. Sanierung im Bestand bleibt unser Mantra.
 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

liebe Anwesende,

in der Vergangenheit forderten wir, dass Klimaschutz zur selbst auferlegten Pflichtaufgabe in Oberhausen werden muss. Am Umsetzungstand hat sich seitdem nichts geändert: Wenn nicht gefördert wird, wird von der Verwaltung zum Schutze des Klimas nichts angepackt.

Wir weichen von unserer Forderung nicht ab, sind aber realistisch, weil wir davon überzeugt sind, wie zuvor dargelegt, dass diese Zeit durch Kooperation und Zusammenhalt der demokratischen Kräfte ausgestaltet werden muss.

Daher werden wir – trotz alledem – dem uns vorliegenden Haushalt zustimmen.

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Dr. Franziska Krumwiede-Steiner

Bundestagsabgeordnete für Oberhausen – Wesel III

Dr. Franziska Krumwiede-Steiner

Bundestagsabgeordnete für Oberhausen – Wesel III

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