Rede anlässlich der Haushaltsverabschiedung 2024 in der Sitzung des Rates der Stadt Oberhausen am 05. Februar 2024

05.02.24 –

- Es gilt das gesprochene Wort. -

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

sehr geehrte Anwesende,

lassen Sie mich mit einer Feststellung beginnen, die dieser Tage und Wochen in vieler Munde ist, dennoch nach wie vor wichtig und vor allem richtig ist: Hunderttausende Menschen beziehen öffentlich Position, setzen sich ein, zeigen Gesicht auf den Straßen, überall in diesem Lande:

Sie setzen ein Zeichen für die Demokratie, die wehrhafte und – sie grenzen sich klar und deutlich von jenen ab, die diese nicht nur gefährden, sondern beseitigen wollen: Rechtsextreme, Faschisten und nicht zuletzt ihr parlamentarischer Arm: die AfD.

Das Ziel: Deutschland, diesen gewachsenen Rechtsstaat zu transformieren, vielmehr zu degenerieren, indem schleichend und allmählich die Demokratie aus ihren Grundfesten gehoben werden soll.

Diesen initiiert schleichenden Prozess beobachten wir, in Ungarn, in Israel, in den USA, zuvor in Polen. Er soll die betroffenen Menschen nicht in Aufruhr versetzen und dahinführen, wo Rechtsextreme sie haben wollen: Als Masse, die sich dem fügen muss, über das nicht sie, sondern selbst Auserwählte herrschen.

Aber: Diese Beobachtungen der Faschisierung in Europa und auf der Welt bleiben hierzulande nicht folgenlos.

Wir alle kennen Menschen, die auf die Straße gehen, wohlmöglich zum ersten Mal – mit den meisten hier im Saale. Wir sind aufmerksam, wir sind wehrhaft, doch auch hier gibt es ein Aber, ausreichend Grund zur Selbstkritik: Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Bei diesem geht es um Sprache, genauer: die toxische Erzählung.

 

Der weichgespülte Begriff der „Remigration“ ist seit der Correctiv-Recherche in aller Munde. An dieser Stelle wird es tricky, nicht nur, weil Correctiv aufdeckte, was seit Jahren in diesem Lande schon vor sich geht, was die Rechtsextremen mittlerweile selbstbewusst in den Mainstream-Medien feststellen. Tricky vielmehr daher, da der Begriff und der dahinterliegende Inhalt im gesellschaftlichen Diskurs ausgesprochen, wiederholt, dann übernommen wird, und – wie gerade eben, Schlagwort „Rückführungsverbesserungsgesetz“ – auch noch gesetzlich umgesetzt wird. Wir sollten und müssen uns aber davor hüten, die rechtsextremen Narrative sichtbar, hörbar, sogar salonfähig zu machen. Wir sollten und müssen uns stattdessen darauf konzentrieren, was uns Demokratinnen und Demokraten ausmacht: Die kritische und auch sachliche Auseinandersetzung, im Ringen um einen tragbaren Konsens, der transparent und nachvollziehbar für alle kommuniziert werden muss. Stattdessen vollzieht sich, vor allem auf Bundesebene anderes: Die konservativen, mittlerweile teils populistisch agierenden Kräfte in Deutschland verfolgen ein Rollback als würde sich dadurch Konservatismus oder Neoliberalismus realisieren:

- Zurück zur Atomkraft.

- Die Forderung nach Eindämmung der sogenannten illegalen Zuwanderung.

- Die schwarze Null.

Klagen und Gewinnen vor dem Bundesgerichtshof wird mit der Hybris des wirtschaftlichen Sachverstandes gefeiert und lässt unerwähnt, was das auch bedeutet: Eine Schwächung des Klimaschutzes, so als ob Klimakrise gestern war und erst übermorgen wirken wird.

Krisen, Krisen, Krisen – das ist unsere nicht enden wollende Gegenwart.

Es gibt keine einfachen Lösungen. Genauso wenig, wie es einfache Antworten in einer ungemein komplexen Welt gibt. Und das wissen die populistischen und vor allem rechtsextremen Kräfte und nutzen das Bedürfnis nach schlüssig knappen Antworten auf Fragen, die sich auf gespürte Unsicherheit begründen. Anstatt, dass sich die demokratischen Kräfte daher tatsächlich sachorientiert solidarisieren, wird um Neuwahlen gepitcht. Ist auch das ein konservativer Wert?!

Machen wir uns doch nichts vor: Egal, welche demokratische Regierung dran ist, sie wird in dieser Zeit keine allgemeinverträglichen Lösungen anbieten können. Und so wie es aussieht, auch keine, die den Machterhalt stützen. Dass die politische Auseinandersetzung teils hart bis harsch ausfällt, ist klar. Das allseits um sich greifende GRÜNEN-Bashing besorgt mich weniger aus einer politischen Eitelkeit heraus, als der Sorge, dass es den anti-demokratischen Kräften zuspielt. Statt diese anzugehen, kloppt vor allem die Bundes-CDU auf die GRÜNEN und die Ampel ein und nähert sich populistisch durch Merz und Co. mehr und mehr AfD-Inhalten an - auch wenn auf dem letzten Parteitag eine Wende angekündigt wurde. Wir werden sehen.

Deutschland darf nämlich nicht den Anschluss verlieren. Dass dieser droht, hat vermeintlich Wirtschaftsminister Habeck in Kürze hingekriegt und nicht zum Beispiel VW, BMW und Mercedes, die den Anschluss an die Elektromobilität verpennten. Oder die ehemaligen Regierungen, die das Gas aus Russland holten. Oder der ehemalige Wirtschaftsminister Altmaier, der die deutsche Solarbranche plattmachte und kaum jemanden hat es interessiert.

Die Anzahl der Menschen, die sich von den demokratischen Kräften ungehört und unbeachtet empfinden, ist alarmierend. Wir dürfen darauf aber nicht derart reagieren, dass wir uns den menschenverachtenden Forderungen der extremen und radikalen Rechten annähern, geschweige denn angleichen. Wir, Demokratinnen und Demokraten, müssen uns ausschließlich auf unsere Werte und Ziele besinnen.

Unsere Inhalte können sich aufgrund der Krisen dieser Welt an der einen oder anderen Stelle nicht mehr stark konturiert unterscheiden, dennoch - das dürfen wir nicht vergessen - spiegeln wir nach wie vor ausreichend Reibungsflächen - die der demokratische Prozess benötigt - wider.

Ach übrigens, einen Robert Habeck hatten wir in Oberhausen auch. Hier heißt sie Sabine Lauxen, die ehemalige grüne Beigeordnete: Was hat die in Oberhausen nicht alles in Schutt und Asche gelegt. Das können wir GRÜNE uns heute noch, gerne vom Podium aus verkündet, anhören.

 

Die GRÜNEN und ihre Inhalte, beispielsweise die Willkommenskultur, Gender und die ökologische Transformation wurden somit nicht nur von der AfD als Gegenpol ausgemacht, sondern die konservativen und neoliberalen Kräfte denken, insbesondere uns GRÜNE ins Visier nehmen zu müssen, vermutlich auch um damit jene einzufangen, die noch nicht anti-demokratisch verlorengeglaubt sind. Meiner, unserer Ansicht nach, ist das nicht der richtige Weg. Wissen Sie, was mich wirklich zutiefst betrübt? Es war keineswegs nötig, das Experiment auch im Oberhausener Rat zu wagen und eine Haushaltsrede, verfasst von Chat GPT, vorzutragen. Und wissen Sie warum? Ich hätte auch die vom letzten Jahr nehmen können, ein klein wenig angepasst und fertig. Was sagt uns das? Es geht demnach kein Ruckeln durch unsere Stadt. Ehrlicherweise ist das nicht in Gänze selbstverschuldet: Wir ringen nach wie vor um eine Lösung der Altschuldenproblematik, die dem uns vorliegenden Haushalt dominiert.

Das darf aber nicht dazu führen, dass der Verwaltungsvorstand offener denn je einfach so, nur vermeintlich politisch gesteuert, durchverwalten will. Da werden Beratungsfolgen halbherzig formuliert, sodass Fachausschüsse quasi selbstverständlich nicht mehr das tun können oder sollen, was ihnen qua Zuständigkeitsordnung zusteht: fachlich diskutieren.

Es werden Verwaltungsvorlagen reingekippt und nach Versuch und Irrtum wieder von den Tagesordnungen genommen - weil was falsch berechnet wurde - weil was unzureichend durchdacht war, weil irgendetwas nicht stimmte. Beschlussvorschläge finden sich in Begründungen oder lassen Raum für Interpretationen. Ein gutes Beispiel ist die heutige Vorlage zum Haushaltssicherungskonzept. Lassen Sie uns das politische Spiel in 2024 bitte wieder ernsthafter betreiben, denn es ist keines!

Recht ernsthaft hat die CDU-Fraktion uns in dem einen und anderen Politikfeld auf dem Kieker. Scheinbar reflexhaft wird jeder Vorschlag der GRÜNEN, ob in der Planung oder Umwelt abgelehnt. Ist das noch Inhalt oder schlicht Ausdruck gescheiteter Sondierungen? Über diese Gespräche durften wir der Tagespresse entnehmen, dass die CDU-Fraktionsvorsitzende mutmaßt, dass es uns Grünen an Erfahrung fehlte. Ich habe dort den Austausch über jegliche Inhalte vermisst. Aber gut, das passt zum Ebnen des geräuschlosen Durchregierenwollens. Und genau da bin ich dann auch wieder bei der Forderung, dass unsere Gegenwart nicht nur mehr denn je gesellschaftliche Solidarität bedarf, sondern ebenso die sachbezogene Solidarität auf den politischen Ebenen.

Lassen Sie mich bereits an dieser Stelle festhalten, dass wir, trotz aller berechtigter Kritik dem vorgelegten Haushalt zustimmen, nicht aber der heutigen, gravierenden Änderung des Haushaltssicherungskonzeptes.

Unsere grünen Inhalte lassen sich 2024 für Oberhausen wie folgt darstellen und nein, wir erfinden dabei nicht immer wieder das Rad neu, sondern wir insistieren dort, wo es weiterhin nötig ist. Wer durch bestimmte Bereiche unserer Stadt läuft, muss sehen, dass sich das Bild im öffentlichen Raum wandelt – nicht zum Besseren:

Vermehrt begegnet man auf den Straßen Menschen, denen anzusehen ist, dass sie belastet sind: sei es

- durch eine prekär finanzielle Lage,

- durch Obdachlosigkeit,

- durch Drogen- und Alkoholkonsum.

Wir sind nicht naiv: Die Sichtbarkeit sozialer Missstände müssen im urbanen Raum leider vorerst ausgehalten werden. Das heißt aber nicht, dass wir politisch nicht dafür sorgen sollten, Unterstützung anzubieten, Hilfe zu leisten – schlicht, das sicht- und hörbar zu machen, was manchen Menschen selbst nicht gelingt – ganz wertfrei gesprochen. Daher fordern wir GRÜNEN für 2024 ein Konzept gegen Obdach- und Wohnungslosigkeit. Wir wundern uns bereits seit geraumer Zeit, dass das, was sich auf den Straßen zeigt, anscheinend nicht so zur Verwaltung durchdringt, dass es vertretbar würde. Stattdessen kümmert sich die Stadtplanung um ein Podest auf dem Altmarkt, das im wahrsten Sinne des Wortes Straßenszenen verdrängen soll.

Und wohin?

Und dann?

Das muss konzeptuell sachgerecht er- und ausgearbeitet werden. Das muss im politischen Raum diskutiert und beraten werden. Weiterhin möchten wir, dass evaluiert wird, dass die Zahlen zum Untergewicht von Kindern, die die Schuleingangsuntersuchung durchliefen, derart erweitert wird, dass ein Zusammenhang zwischen der Meldung aus der freien Jugendarbeit zum Thema Hunger und dem Untergewicht bei Kindern in der Schuleingangsuntersuchung ausgeschlossen oder zumindest abgeschwächt werden könnte. Und das auch für andere Jahrgänge.

Die Auswirkungen der Klimakrise sind allgegenwärtig.

 

Ich möchte mich an dieser Stelle im Namen der gesamten GRÜNEN Fraktion zutiefst bei den ehren- und hauptamtlichen Hilfskräften bedanken, die sich tatkräftig gegen das Hochwasser der Ruhr einsetzten. Wir stimmen dem Oberbürgermeister zu, dass wir uns mehr mit dem Thema der Klimafolgenanpassung beschäftigen müssen. Dabei dürfen wir aber auf keinen Fall vergessen, dass es auch nach wie vor um die Eindämmung der Ursachen der Klimakrise gehen muss. Für uns in Oberhausen muss das heißen: nachhaltig, somit klug und vorausblickend zu bauen, mit Priorität beim Bestand.

Wenn ich mir die Änderungsanträge zum HSK anschaue, fällt eines direkt ins Auge:

Da scheinen CDU und FDP die Bettensteuer bedrohlicher für den Stadtfrieden zu empfinden als die Erhöhung des Schwimmbadeintritts. Das wird auch an der heute noch zu behandelnden und überarbeiteten Vorlage zu den Elternbeiträgen für die Ferienspiele deutlich: da wird nicht nach Einkommen gestaffelt, da gibt es keine Beachtung von Sozialkomponenten. Familienfreundlichkeit wird in dieser Stadt nicht groß geschrieben. Wir GRÜNEN werden daher auch in 2024 genau prüfen, dass die Familien in unserer Stadt nicht zu kurz kommen dürfen.

 

Nicht zuletzt werden wir das Thema „Frauen und Gesundheit“ verstärkt in den Blick nehmen. Und nein, dabei handelt es sich keinesfalls um ein Nischenthema, auch wenn ich es folgend noch weiter einkreise: Wir GRÜNEN werden uns für das Thema Wechseljahre stark machen.

Wir möchten nicht nur, dass dieses Thema enttabuisiert wird, damit die Betroffenen mit diesem sie jahrelang begleitenden Zustand nicht weiter allein gelassen werden.

Wir möchten auch ganz pragmatisch das Augenmerk auf eine alles andere als kleine Gruppe in der Oberhausener Stadtverwaltung verweisen. Von den knapp über 3000 Beschäftigten sind 62,6 Prozent weiblich, also gegenwärtig oder zukünftig von den Wechseljahren betroffen.Wir möchten, dass diesen Frauen informiert und wenn nötig, unterstützend begegnet wird. Aufklärungsarbeit, Auseinandersetzung und ein vertrauensvoller Umgang im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses sollte von ihrer Arbeitgeberin initiiert werden. Dabei gehören die männlichen Kollegen involviert, mitgenommen, wovon wir uns einen weiteren Effekt versprechen: Dass Männer sich Gesundheitsthemen und somit ihrer eigenen Gesundheit gegenüber öffnen, weil dies beruflich nicht nur endlich akzeptiert und gewünscht, sondern ebenso unterstützt wird. In Zeiten des demografischen Wandels, in Zeiten gesellschaftlicher Krisen, die bei den Menschen Krankheiten auslösen, müssen die Arbeitgebenden ihr Fürsorgepflichtspektrum erweitern.

Zum Schluss möchte ich mich dem Aufruf des Ministerpräsidenten Henrik Wüst anschließen und somit den Kreis schließen, wenn er den „Schulterschluss der Demokraten“ fordert. Lassen Sie uns weiterhin auf den Straßen unsere Demokratie schützen, um die offene Gesellschaft am Leben zu erhalten.

Das können wir bei den anstehenden Europawahlen unter Beweis stellen.

Lassen Sie uns auch in diesen Räumen daran ernst- und gewissenhaft arbeiten.

Lassen Sie uns unsere demokratischen Gepflogenheiten und Fähigkeiten mit vollster Überzeugung und ohne Angst weiterleben, anstatt sie von einer lauten, menschenverachtenden Minderheit niederzumachen.

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Dr. Franziska Krumwiede-Steiner

Bundestagsabgeordnete für Oberhausen – Wesel III

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